Seit dem 05.11.2018 ist sie nun da. Bis zu 40 (noch) auffällig saubere und leuchtend gelbe Schilder weisen an allen Zugängen auf die neue sogenannte „Waffenverbotszone“ rund um die Eisenbahnstraße hin.
Ursprünglich bereits ab Beginn dieses Jahres geplant, wurde die Umsetzung dieses Projektes der sächsischen Landesregierung immer wieder verschoben. Nun, fast ein Jahr später, ist es also endlich so weit.
Denn: „Wir haben in dem Gebiet ein Straftatenaufkommen, das seinesgleichen sucht, es ist ein krimineller Ort und mit dem wollen wir hier Schluss machen.“ ¹ Dieses Zitat kommt von Leipzigs Polizeipräsident Bernd Merbitz. Immer wieder seien hier Straftaten mit Einsatz von Waffen zu verzeichnen, so einer der Argumentationsstränge. Dass die (meisten) Waffen ohnehin bereits gesetzlich verboten sind sollte er wissen.
Andreas Löpki, der Pressesprecher der Leipziger Polizei wird da schon deutlicher: „Entsprechende Regelungen finden sich auch schon im bestehenden Waffengesetz. Für uns wäre es vielmehr ein großer Vorteil, wenn wir damit die Legitimation erhalten, Personen anlassunabhängig kontrollieren zu können.“²
Wer hier wohnt oder sich aufhält kann also allein aufgrund dieser Tatsache ab sofort Ziel polizeilicher Maßnahmen wie Identitätsfeststellungen und Durchsuchungen werden. Dies ist nun die neueste Eskalation in einem bereits lang anhaltenden Experiment mit polizeilichen Befriedungsstrategien rund um die Eisenbahnstraße. Aktionsbündnis für Sicherheit und Ordnung im Leipziger Osten, Kontrollgebiete, Überwachungskameras, Polizeiposten, Komplexkontrollen, großangelegte Hausdurchsuchungen, Bodycam-Tests.
Und nun die Möglichkeit zur willkürlichen Kontrolle aller im Gebiet befindlichen Menschen. Dies ist durchaus eine Provokation und eine Kriminalisierung gegenüber einem ganzen Stadtteil. Unter dem Deckmantel des Kampfes gegen Drogenhandel, Kleinkriminalität und der organisierten Kriminalität wird hier eine Law-and-Order-Politik durchgesetzt, der alle hier lebenden Menschen unmittelbar ausgesetzt sind und die im Kontext von Rechtsruck und dem drohenden neuen Polizeigesetz einen noch faderen Beigeschmack bekommt.
Eisenbahnstaße – Bald eine NoGo-Area?
„Es gibt Ecken, da traut man sich kaum hin“³, so wird eine Anwohnerin in Bezug auf die Eisenbahnstraße in der LVZ zitiert. Glaubt man vielen Medienberichten sowie Aussagen aus Polizei- und Politikkreisen der letzten Jahre, ist die Eisenbahnstraße ein schlimmer Ort – und tatsächlich ist das Viertel auch geprägt von vielfältigen sozialen Problemen.
Wir betrachten Drogenhandel, Raub und Einbrüche sowie „Kriminalität“ im Allgemeinen, die nun oft als Begründung für das verschärfte Vorgehen der Polizei gegen den Stadtteil herangezogen werden, aber vor allem als Ausdruck sozialer Missstände. Armut und Illegalität sind beispielsweise Probleme, die viele Menschen hier betreffen. Die Situation dieser Menschen ist eine direkte Konsequenz der kapitalistischen Gesellschaft und der Politik der CDU-Regierung, die in Sachsen seit 30 Jahren ihre Spuren hinterlässt.
Die Waffenverbotszone kann als Versuch gesehen werden, die Auswirkungen solch einer Politik, durch Repression und Einschüchterung unsichtbar zu machen und zu verdrängen.
Die Polizei ist für manche Menschen im Viertel eine unmittelbare Gefahr. Wer durch eine rassistische Migrationspolitik illegalisiert ist, wer wie Drogensüchtige zu kriminalisierten Bevölkerungsgruppen gehört, für den ist die Polizei eine Bedrohung. Die Realität zeigt, dass insbesondere ohnehin bereits gesellschaftlich marginalisierte und prekär lebende Menschen in den Fokus von polizeilichen Maßnahmen kommen.
Ein Beispiel ist hierfür ist das rassistische „Racial Profiling“, welchem durch die neue Verordnung Tür und Tor geöffnet werden. Die Polizei muss sich nun bequemerweise mit Verweis auf die verdachtsunabhängigen Kontrollen noch weniger für ein solches Vorgehen rechtfertigen. Menschen, die etwa wegen eines Fluchthintergrundes kriminalisiert werden, sind nun für eine nicht absehbare Zeit massiv in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Als direkte Konsequenz davon können diese Menschen aus dem Stadtteil verdrängt werden.
Je nach Hintergrund der Menschen sind die Auswirkungen der „Waffenverbotszone“ unterschiedlich. Die Anwohnerin, die sich laut LVZ nicht mehr traut, manche Ecken des Viertels zu betreten, feiert das jetzige Vorgehen möglicherweise als eine positive Entwicklung. Für sie ist eine Polizeikontrolle wahrscheinlich einfach eine nervige Angelegenheit, für andere kann eine solche Kontrolle jedoch Abschiebung oder Haft bedeuten. Diese Tatsache darf nicht dazu führen, dass die hier lebenden Menschen gegeneinander ausgespielt werden können.
Laut Merbitz sind in den ersten zwei Wochen bereits mehrere Haftbefehle im Zusammenhang mit der Waffenverbotszone vollstreckt worden. Die angekündigte Belagerung des Viertels und die mit der „Waffenverbotszone“ einhergehenden Befugnisse der Polizei gegenüber allen Anwesenden betreffen darüber hinaus alle Menschen. Mit dieser Entwicklung droht nun etwas wahr zu werden, wogegen Politik und Polizei vorgeblich etwas tun wollen: Eine NoGo-Area wird geschaffen.
Solidarität statt Repression
Vielen Menschen im Viertel stellt sich nun die Frage: Was tun?
Noch lässt sich nicht absehen, wie weitgehend die neue „Waffenverbotszone“ das Leben hier beeinträchtigen wird und wie viel Gewalt und Druck ausgeübt wird, um den Stadtteil „kontrollierbar“ zu machen. Die weiteren Ereignisse und das weitere Agieren von Politik und Polizei werden sicher auch den Konflikt um und den Protest gegen die „Waffenverbotszone“ beeinflussen.
Hier sollten wir weiterhin aufmerksam sein und beobachten, was nun in der kommenden Zeit auf der Straße passiert.
Darüber hinaus ist es wichtig, das Märchen vom Kampf gegen die Kriminalität und für mehr Sicherheit zu dekonstruieren und in der Öffentlichkeit aufzeigen, warum solch ein autoritäres Vorgehen keine Lösunge für soziale Probleme ist. Die aktuelle Situation betrifft viele Menschen und bietet die Möglichkeit, miteinander in Kontakt zu kommen. Eine gute Vernetzung, Solidarität und Unterstützung untereinander sind wichtige Voraussetzungen für die Handlungsfähigkeit der Betroffenen der „Waffenverbotszone“ und darüber hinaus.
Rund um die Eisenbahnstraße befinden sich zahlreiche solidarische Hausprojekte, Läden und andere Freiräume. Hier können in der kommenden Zeit wenn nötig zumindest temporäre Rückzugsräume geschaffen werden.
Verschiedene Gruppen und Initiativen arbeiten bereits zu dem Thema. So bietet die Kampagne „Kriminell ist das System – nicht wir“ unter anderem eine Anlaufstelle für die Betroffenen von diskriminierenden Polizeikontrollen und schafft Öffentlichkeit zu dem Thema. Mehr Infos dazu gibt es hier: https://copwatchleipzig.home.blog/
Am 05.11.208 wurde die „Waffenverbotszone“ von Innenminister Wöller und Oberbürgermeister Jung feierlich eingeweiht. Bei diesem Ereignis war lediglich Politikprominenz und viel Polizei zugegen, die das Ereignis für eine PR-Show nutzen wollten. Diejenigen AnwohnerInnen, die anwesend waren, machten gemeinsam ihre Ablehnung gegen das Unterfangen deutlich und begleiteten den Auftritt mit lautstarkem Protest sowohl vor Ort als auch bei einer nahe gelegenen Kundgebung. Am späten Abend zog eine Spontandemonstration gegen die „Waffenverbotszone“ und in Solidarität mit den Betroffenen durch die Eisenbahnstraße.
Diese Ereignisse waren ein wichtiger Startpunkt, der einen öffentlichen Widerspruch gegen das staatliche Vorgehen sichtbar gemacht hat. Hier gilt es nun anzuknüpfen.
Ein weiterer Baustein ist die Solidarität im Alltag. Lasst Leute nicht alleine, wenn diese in Kontrollen geraten sind. Schon die bloße Beobachtung einer solchen Situation durch möglichst viele Menschen zeigt der Polizei, dass sie nicht unbeobachtet agieren kann. So wird mehr Sicherheit für die betroffenen Menschen geschaffen.
Meldet Polizeikontrollen: https://drohende-gefahr.de/
Beteiligt euch an Aktionen gegen die „Waffenverbotszone“ und helft solidarische Strukturen im Viertel zu etablieren!
Schlicht&Ergreifend, November 2018
Zitate:
¹ http://www.lvz.de/Region/Mitteldeutschland/Leipziger-Eisenbahnstrasse-wird-erste-Waffenverbotszone-in-Sachsen
² http://www.lvz.de/Leipzig/Polizeiticker/Polizeiticker-Leipzig/Waffenverbotszone-in-Eisenbahnstrasse-soll-im-November-kommen
³ http://www.lvz.de/Leipzig/Polizeiticker/Polizeiticker-Leipzig/Eisenbahnstrasse-Es-gibt-Ecken-da-traut-man-sich-kaum-hin